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Bunker of Speed-Society / Marc Alexander Götsch

1.07.2012

Für das folgende Buch Bunker of Speed-Society habe ich eine These aufgestellt, welche eine gesellschaftlich-architektonische Zukunftsvision beschreibt. Es ist eine Vision der Extremen, die mit dem Phänomen von Geschwindigkeit spielt, ja sogar eine Geschwindigkeitsabhängigkeit offenlegt. Der Bunker ist eine Gegenmaßnahme zur Geschwindigkeit in der Gesellschaft und das endgültige Schutzstadium. Folgende Überlegungen haben zum Titel „Bunker of Speed-Society“ geführt.
Der Beweggrund für dieses Theorem ist der Wille, eine Kritik über Krieg und Medien im Zusammenhang mit kulturellen Ereignissen zu entwickeln, dabei einen eher untypischen aber sehr konkreten Blickwinkel zu beschreiben. Wie Lovecraft stürzt sich die These auf ein Geschehen und dringt soweit ins Schreckliche hinein, bis kein Zurück mehr möglich ist. Die These, Bunker of Speed-Society, stützt sich unter anderem auf die Lektüren von Paul Virilio, dessen Texte Katastrophen und Übertreibungen einer alltäglichen Situation wiederspiegeln. Zudem beschreibt er, wie neue Technologien eine Geschwindigkeitsrevolution in der Gesellschaft verursachen. Diese Technologien bauen auf Geschehnissen des Krieges und des Gefechts auf. In einem Blick in die Vergangenheit werden historische Ereignisse des Zweiten Weltkrieges aufgezeigt, die großteils zur Speed-Society geführt haben. Zugleich werden die Bunker der Atlantic Wall untersucht, da diese Architekturen nicht nur die Verringerung, sondern das totalitäre Stoppen der Geschwindigkeit dieses Phänomens darstellen. In einem zweiten Moment werden zeitgenössische Kriegsgeschehnisse begutachtet, um deren Einwirkungen auf mediale und gesellschaftliche Ereignisse zu untersuchen.
Paul Virilio, der französische Humanphilosoph und Kritiker der Mediengesellschaften, definiert seine Texte durch ein eigentümliches Vokabular und Bezeichnungen. Virilios Überlegungen werden mit Metaphern und Umschreibungen zur Geschwindigkeit noch ergänzt. Die wichtigste Bezeichnung ist wohl die Vorstellung der Dromologie. Dies ist die Idee der Stadt als Technologie der Geschwindigkeit, wo die Architekturen und Konstruktionen die Wucht der Geschwindigkeitsatmosphäre drosseln. Virilio beschreibt sie als eine Stadttechnologie der Statik, Immobilität und Festigkeit. In der Luftdimension trifft die Stadt auf die Ballistik und den Lufttransport. Es ist die staatlich-städtische Konstruktion, welche auf Destruktion trifft. Eyal Weizman, israelischer Architekt und Städteplaner, geht einen Schritt weiter und beschreibt die Dynamik der Architektur im Krieg zwischen Palästina und Israel. Der Architekt verbindet eine dynamische Siedlungsentwicklung mit einem statischen Kampfgefüge und bildet die Brücke zwischen historischen Kriegsereignissen und modernen Guerillas in einem urbanen Gefüge. In beiden Fällen repräsentiert die Stadt den Schutz des Individuums gegenüber der Geschwindigkeit.
Die Urbanität hat die Aufgabe das Tempo umzuwandeln und den Impact zu reduktiveren, um die Ordnung wieder herzustellen. Die Kontrolle kann nur durch labyrinthische Strukturen wie Wege, Brücken, Parkanlagen, Speerzonen, Kanalisation, Garagen, Tunnelsysteme etc. garantiert werden. Das ist die Vision eines geplanten Aufbaues, der die kontrollierte Entschleunigung zur Folge hat. Dieser Aufbau ist damit eine Gegenreaktion auf eine Ebene von Extremen, wo Ballistiken und Flugmaschinen die Luftatmosphäre erobern. Diese Sphäre bezeichnet der französische Philosoph Virilio als Dromosphäre: Alles, was dem Mensch hilft, die Bodenebene zum Zwecke des Transports zu verlassen, definiert diesen Bereich. Diese Ebene führt bis zum hindernislosen Luftraum. Die Dromospähre beschreibt auch die Evolution des Transportes vom Pferd über das Automobil über den Zug bis hin zum Flugzeug. Der höchste Grad der dromologischen Geschwindigkeitsevolution wird durch das Projektil erreicht. Hierbei wird auch die Atmosphäre durchdrungen, jedoch ohne den Menschen zu transportieren. Die Technologie entwickelt sich immerfort weiter und bringt ein ständig erhöhtes Tempo mit sich. Hauptgrund ist das Chaos, das eine Kriegssituation erschafft und sich in der modernen Stadt übersetzt. Durch die Geschwindigkeit der Dromologie erhält die Urbanität eine ganz neue Bedeutung. Der Mensch muss sich ständig neu anpassen und darum Strategien der Adaption entwickeln. Das ist eine Gegenreaktion, um mit der Geschwindigkeit der Moderne mithalten zu können. Je schneller die Dromosphäre wird, desto phänomenologisch verzerrter wird die Realität, die uns umkreist. Virilio vergleicht dies mit der Verzerrung des Blickes durch das Autofenster während der Fahrt. Die Auffassung verändert sich, die Umgebung schwindet, nur was vorne liegt bleibt konkret und ersichtlich. Die Veränderung liegt aber nicht nur in der Wahrnehmung, sondern auch in der Steigerung bis zum Extrempunkt, dem Unfall.
Technologie verbessert sich, übersteigert sich selbst durch neue Erfindungen, jede neue Erfindung bringt aber auch Fehler mit sich, die zur Katastrophe führen können. Die Erfindung des Zuges ist auch die Erfindung der Entgleisung, die Erfindung des Flugzeuges ist gleichzeitig die Erfindung des Flugzeugabsturzes. Auf einer weltweiten Ebene, in der Globalisierung, werden Erfindungen vom totalen Unfall begleitet. Der primäre Grund für die globale Katastrophe ist die sogenannte Sehmaschine. Die Sehmaschine ist nach Virilio die Perzeption des Verschwindens durch Geschwindigkeit. Die Zeit zwischen Sender (Anfangsgeschehen) und Empfänger (Endresultat) ist so kurz, dass sie sich auflöst. Die Sehmaschine ist somit eine Gerätschaft für die Beobachtung, zugleich aber auch eine Form der Kommunikation. Diese Technologien wurden durch Krieg ermöglicht. Der Zweite Weltkrieg hat die Entwicklung der Elektronik gepuscht. Die Moderne nutzt diese Evolution aus, um eine informations-gestützte Kriegsführung zu starten. Für den Zivilisten bedeutet dies Medienkommunikation durch Bilder. Was für das Kriegsfeld logistische Bildinformationen durch GPS, Satelliten und Radars sind, ist für die Zivilbevölkerung die Information durch Radio, Fernsehgerät und Internet. Die Zeitabstände sind so gering, so nicht persistent, dass von einer „Echtzeit“ gesprochen werden kann.
Ich möchte unterstreichen, dass Virilio auf keinen Fall als Technophober betrachtet werden sollte bzw. eine einseitige Stellung gegen Technologie führt. Der Humanphilosoph äußert Kritik über die Propaganda von Geschwindigkeit als Resultat von Technologie. Er ist also gegen den Zwang eines technologischen Kultus, weil ein solcher schon fast faschistische Akzeptanz fordert und Gefühle als Information verkauft. Die Gesellschaft der Geschwindigkeit verwendet Empfindungen als eine Art Bestrafung, wenn Menschen nicht mit der Gesellschaft mitziehen wollen. Wer nicht mit der Mode mithält oder das neueste technische Wunder besitzt, wird zum Außenseiter. Im Krieg geht es hingegen um das Propagieren von Angst. In beiden Fällen wird die Geschwindigkeit ausgenutzt, wo neue Gadgets und neue Waffen im rasanten Tempo auf den Markt kommen. Dabei fehlt aber die Zeit, um kritisch über die Objekte zu reflektieren. Sind sie wirklich nötig, sind sie nützlich für persönliche Zwecke? Werden sie gebraucht, um Teile der nationalen Einheit zu stärken oder sie auszunützen? Die Echtzeit des Informationszeitalters hat einen weiteren Nachteil: das Auseinander-driften der Individuen. Die zu großen Distanzen untereinander und ein Leben vor dem Bildschirm fordern soziale Alternativen. Plattformen wie Youtube und Facebook repräsentieren den technologischen Ersatz. Oder wie Virilio sie bezeichnet, elektronische Prothesen als soziale Brücken in Situationen, wo der direkte Kontakt ansonsten nicht mehr möglich wäre. Der Vorteil der Echtzeit durch das Internet liegt in der einfachen Verbreitung von Informationen. Aber auch das kann zum Extremum führen. Virilio versucht mit dem Begriff der „Informationsbombe“ eine Umgebung der Angst zu visualisieren. Die „Informationsbombe“ ist eine begriffliche Analogie zu „The Population Bomb“, einem Buch des Standforder Universitätsprofessors Paul R. Ehrlich und seiner Ehefrau Anne Ehrlich.
Die zwei Autoren beschreiben erstmals die Problematiken der Überbevölkerung und stellen die Explosion der Populationszahlen dar. Dabei werden die Grenzen der globalen Ebene gebrochen. Virilios Informationsbombe in der Geschwindigkeitsgesellschaft hingegen beschreibt ein nicht lokales Ereignis, welches sich aber in Echtzeit auf gesamtglobaler Ebene verbreitet. Jeder kann die Nachricht mitverfolgen und von ihr beeinflusst werden. Für Virilio ist dies eine synchronisierte, weltweit reichende Vision von Angst und Terror. Die Beeinflussung kann auf die Politik sowie die Ökonomie wirken. Das Tempo der Informationsverbreitung hat den Level der Lichtgeschwindigkeit erreicht. In einer solch maßlosen Übertreibung kann der Mensch nicht mehr mithalten, die Regulation ist nicht mehr möglich und die Architektur muss sich anpassen. Ein neuer Rückzugsort wird gesucht. Der Mensch verkapselt sich wieder, bis der Extremfall des Bunkers erreicht wird. Die oben genannten Vergleichen und Thesen werden im Zuge der Arbeit genauer behandelt und ausgeführt.

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